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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.10.1860
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1860-10-03
- Erscheinungsdatum
- 03.10.1860
- Sprache
- Deutsch
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- Saxonica
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1988 Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. .U 123,3. Oktober. Herzens zu seiner Bestattung gereist, welche am 7. Oclobcr stattfand des Nachmittags. Oftmals, wenn der Chronist in dem hohen Hellen Buchladcn, der von dem Gehilfen bedient wird, nach diesem oder jenem Buch suchte, that sich das Fensterthürlein auf, und der dicke Herr Baedeker grüßte und winkte freundlich den Gast zu sich in sein traulich Ar- bcitsstüblcin. Da lagen die großen Geschäftsbücher auf dem Schreib tisch, und viele Briefschaften und Druckbogen, und der Herr Bae deker zwischen dem Allen in schier übergroßem Fleiß. Aber alsbald schob er's bei Seite und wollte vom Schmiedel und von der Chronik erzählt hören. — Nun lag er vor seinem Haus im Sarg, und der Helle Buch laden war verschlossen, und das trauliche Arbeitsstüblcin still. Und der Chronist dachte allem nach. Das war ein Lcichenzug! Vor beinah dreißig Jahren ist unser Herr Baedeker als ein Fremdling nach Coblcnz gekommen. Es hat ihn viel Sorge, Beharrlichkeit und Klugheit gekostet, in so ganz fremdem, und sonderlich für seine Waare noch nicht erprobtem Boden Wurzel zu schlagen. Aber nun konnte der Pfarrer in seiner Ge dächtnisrede sagen: „Die ganze Stadt ist erschrocken, als sie von seinem Tod hörte." Und so war auch aus allen ehrbaren Theilcn, Stufen, Schichten und Berufsarten der städtischen Bevölkerung der Leichenzug zusammengesetzt, weil sie ihren Mann ehren wollten. Und hier war kein Unterschied des Bekenntnisses; und vor dem Chronisten gingen auch etliche Söhne Israels. Denn dem Aufricht igen läßt es Gott gelingen. Fürwahr, so'n Leichenzug ist die feinste, auch kräftigste und charaktervollste Lebensbeschreibung Dessen, dem er gilt. Hinter'm Sarg, in dem dunkeln verschlossenen Wagen saßen seine Nächsten, sein Fleisch und Blut, die Lieblinge seines Herzens. Denn treu, friedlich und glückselig hat er in einer dreißigjährigen Ehe gestanden, Kind und Kindeskind gesehen; und die fromme ge räuschlose Liebe waltete daselbst im Haus; und ihr Segen wächst und treibt weiter. — Es folgten viele Glieder seiner evangelischen Gemeinde, Aelteste, Lehrer, Männer und Kinder. — Manches Jahr war er im Presby terium und durch ihn Kirche und Schule wohl berathcn. „Aber von der Frömmigkeit und vom Bekenntnis habe er nie gern viel gespro chen, schier zu wenig" — hieß es in der Gedächtnisrede. Denn von jenen Naturen ist er eine gewesen, welche in tiefem Abscheu vor der Afrerfrömmigkeit, oder auch vor dem Geräusch und Geberde- ' spiel des Glaubens, ihren Glauben als das wesentlichste Eigenthum und höchste Gut mit zarter Scheu im Herzen buten, ja wie mit jungfräulichem Schleier vor fremden Augen verschließen. Nur mit den Vertrautesten redete er davon in geweihten Stunden. Und in den letzten Zeiten vor seiner Krankheit sei das Gemüch des Mannes weicher gewesen, denn sonst, wie von heiligem Heimweh bewegt, daß er sich bei diesseitigen Freunden schon als ein Fremdling dünkte. Und sein Lieblingslied war, von seiner seligen Mutter her, ein Lied der Sehnsucht nach dem himmlischen Vaterland. Es folgten Glieder des Sladtrathes. Denn er war auch unter ibnen ein treuer und kluger Rathsherr, sein Wort grad und recht, vielfach gesucht und bewährt. Es folgten nicht wenige Genossen seines Standes, Buchhändler von nah und fern, bei denen er im ganzen deutschen Vaterland durch Bildung, Geschick und Ehrenhaftigkeit in großem Ansehen stand. Mit höheren als bloß gewerblichen Gedanken faßte er seinen sebr wichtigen Beruf auf. Keusch, deutsch und gottesfürchtig, so war er in seinem Sinn und Werk; und das sind edelste, gesegnetste Buchhändler-Tugenden. Denn von seinem Laden aus redet ein Buchhändler zu dem Volk mit tausend Zungen und einem tausend fachen Mund. — Es folgten viele Ofsiciere, hohe und niedere, denn der Heimge gangene war als Landwehrmann einst ihr Kamerad; ja so einer, der in guten, wie in bösen Tagen in immer gleicher Treu und Freudigkeit mit Gott für König und Vaterland das Schwert zu tragen bereit war; und seine Söhne lehrte und erzog er auch also. Und dieser Zug zum deutschen Vaterland und deutschen Ehren ist besonders hell, stark und offen an ihm gewesen. Als es mit seiner Krankheit schlimmer geworden war, erschien ein Ofsicicr sehr hohen Ranges — unter dem er vor 38 Jahren bei der Jäger-Abtheilung gedient hatte, jeden Morgen zur bestimmten Stunde im Buchladen und frug mit soldatischer Kürze: „Wie gehl's?" Und da ec am letzten Morgen wieder kam und wieder frug: „Wiegcht's?" und mansihm sagte: „Er ist gestorben heute früh" — rief der greise Herr: „Was? gestorben?" riß sich hastig los, eilte durch's Haus die Treppe hin auf in's Sterbezimmcr, legte seine Hand auf die kalte Stirn des Entschlafenen und sprach mit tiefem Athemzug: „Alter Schütze, braver Mann, leb' wohl!" Und es folgte manch hausarmec Mann, der in still verschämter Armuth und Bedrängniß noch stillere Hilfe empfangen hatte, und dachte dankbar: hungrig bin ich gewesen mit meinen Kleinen und Hab' sein Brod gegessen; nackt bin ich gewesen, und er hat mich gekleidet; rathlos bin ich gewesen, und er hat mir guten Rath ge geben. Nun vergilt's ihm der liebe Herr, der alles ansieht, als ihm gethan, und will auch keinen Trunk Wassers unbelohnt lassen. Und so ging auch der Chronist im Zug. Und er bewegte diese Gedanken und Erinnerungen bei sich: Wenn ein Ding auf Erden im Flor und Hellen Schein steht, gewinnt es sich wohl leicht Freunde. Dieser Mann aber, als unser Schmiedel fast noch nicht viel mehr war als ein einfältiger Gedanke, in Gottes Namen und großer Ar muth getrost gedacht, war ihm sogleich von Herzen hold, und hat ihm viele Freunde geworben in der Gemeinde zu Coblenz, und sein Netz für ihn ausgcworfen bis nach Berlin hin, wie ich wohl weiß; und bin gleich im Anfang etliche Male der verschwiegene Vermittler reicher Gabe gewesen. „Denn er halte", sprach er, „die Sache für gesund, kernhaft und ungeschminkt." Besonders ist's dem Chroni sten unvergessen, wie er eines Tages einen Brief empfing, in wel chem der Entschlafene ihm eine kleine Schrift zusandte, „er habe sie", sagte er, „bei seinen Wanderungen durch Deutschland irgendwo auf einem Grabstein gelesen, und gleich gedacht, das sei etwas für die Chronik". So nahm er das Andenken an uns auch mit sich auf Reisen, und ließ es nicht unter seinen vielen andern Interessen, Sorgen und Arbeiten verloren gehen. Solche Erinnerungen erwog seinerseits der Chronist und sprach ebenfalls bei sich: „Nun vergilt's der liebe Herr, der alles ansieht, i als sei's ihm selbst gethan, und will auch keinen Trunk Wassers unbelohnt lassen." — Unterdeß war der Zug zur Kirche gekommen und füllte alle Räume. Da ließ die Orgel ihre weichsten, wehmüthig- stcn Töne laut werden zum Gesang der Gemeinde; es war das Heimwehlied des Heimgegangenen Bruders, über seinen Sarg, der mit Epheu und duftenden Herbstblumen geschmückt, vor den Stufen des Altars stand, klang es hin: Ich Hab von ferne, Herr, deinen Thron erblickt, Und hätte gerne, Mein Herz vorausgeschickt; Und hätte gern mein müdes Leben, O Gott der Geister, Dir hingegeben. Das war so prächtig, Was ich im Geist gesehn; Du bist allmächtig, Drum ist dein Licht so schön.
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