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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.03.1920
- Strukturtyp
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- 1920-03-23
- Erscheinungsdatum
- 23.03.1920
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- Deutsch
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Hölderlin. Zu seinem ISO. Geburtstage am 20. Mürz 1920. Von Hanns Martin Elster. Die Sehnsucht nach dem Land der Griechen, nach einer Harmonie- und glückersüllten Antike wird immer die deutsche Seele erfüllen. Der reine, schönheilstrunkene Geist begehrt im Deutschen nach der Verwirklichung seiner Ideale. Wohl kein zweiter Dichter ist so vollkommen die Verkörperung dieser hellenischen Sehnsucht im Deutschen wie Johann Christoph Fried rich Hölderlin. Sein Leben löste sich in dieser Sehnsucht auf, sein Geist gab ihr sich so ausschließlich hin, daß er zu zart ward für die rauhen Angriffe der Wirklichkeit, und sein Werk wurde zur Gestaltung seines antik-klassischen Ideals aus romantisch beschwingtem Gesiihl. Die Jugend des am 20. März 1770 zu Lauffen am Neckar geborenen Knaben steht ganz unter dem Einflüsse frommer Empfindsamkeit. Früh verltert das Kind den Vater, mit neun Jahren auch den Stiefvater, und so bleibt der Heranwachsende, der die Schulen zu Nürnberg und Denkendorf besucht, ganz der verweichlichenden, verzärtelnden Einwirkung der hausbackenen, strenggläubigen Mutter, die einem Pfarrhause entstammte, un terworfen. Der Vierzehnjährige wird bereits weltfremd; die übertriebenen Gebetsverpflichtungen damaliger Erziehungs methode treiben ihn in ein stilles, halb verzweifeltes, halb energieloses Jnsichversenken, das seine Neigung zu innerer Ver träumtheit steigert. Auch die erste Liebe, die er in Maulbronn, wo er seit 1786 das theologische Seminar besucht, zur Tochter des Klosterverwalters in sich wachsen spürt, ruft nur Leiden hervor, wie sie im Zeitaller der Empfindsamkeit ein junges Herz nur ertragen kann. Ossianische Melancholie, Rousseau; tränenselige Naturandachten verdüstern sein Inneres, bis «ine Verständigung mit der Geliebten die Welt in eitel Sonne und Freude verwandelt und nun Klopstocks Seraphim ihn himmelan tragen. Erste Rhythmen wachsen aus ihm: sie ahmen Klop- stock, die Verse des Hainbundes nach, in Ossianischen Bildern, in anttkischem Odenmaß, schon voll melodischen Klanges; erste Schillersche Einflüsse machen sich geltend. Der junge Dichter, der sich streng in die hellenische Welt verliest, erkennt die Kunst als seinen Beruf. Trotzdem läßt er sich von den Wünschen seiner Mutter dazu verleiten, vom Herbst 1788 an der Tübinger Universität als Stipendiat Theologie zu studieren. Hier findet er in Neuffer und Magenau zwei gleich gerichtete, kunstschwärrnende Klopstock- verehrer, in Stäudltn ein dichterisches Vorbild, dessen Rousseau verehrung auf den Jüngling einwirkt. Durch den Repetenten des Stifts, Professor C. Philipp Conz, einem hinreißenden Lehrer, dringt Hölderlin in Geist und Seele des Griechentums ein. Mit dessen Weltanschauung vereint er nun ein christliches Seraphenlum, das aus einer Vereinigung von Leibnizens Har moniebegriff und der neuplatonischen Stufenfolge der Dinge vom Irdischen bis zur Gottheit den Triumph der Liebe, wie Schiller ihn zur Dichtung erhob, hervorzaubert. Hölderlin ge biert in sich aus dieser jauchzenden Hingabe an das antikisierte Evangelium der Liebe seine ziemlich unbestimmte Vorstellung eines »Genius Griechenlands«, seine ganze Jünglingsleidenschaft gibt sich dieser Vorstellung hin mit einer Ausschweifung ins Unendliche. Er wirft die irdischen Fesseln ab, sogt sich von seiner Braut los und will die Theologie gegen das juristische Fach vertauschen. Immer stärker gerät er in die Philosophie der Zeit hinein: die Konflikte mit seiner neuhumanistischen Welt anschauung, die Menschlichkeit und Schönheit vorbildlich in den Griechen verkörpert und in ihrer Weltauffassung »das Bewußt sein der Verwandtschaft von Natur, Menschen, Heroen und Göt tern« durchgeführt sah, können nicht ausbleiben. Der Idealis mus der Freiheit eines Kant, Schiller, Humboldt strebt in Höl derlin, »das Universum als einen Zusammenhang zu begreifen, der von einer der Phantasie und dem Gemüte verständlichen Kraft erfüllt ist«, wie Dilthey sagt. »Hölderlin ringt nach Symbolen, die das innere Verhältnis zwischen der Gottheit, der olllebendigen Natur und dem göttlichen Adel der Menschen aussprechen-. Dazu kommt die Einwirkung der Ideen der fran- 2K8 zösischen Revolution. In der tyrannisch durchgesllhrten Enge des Tübinger Stiftes wächst das Freiheitsbegehren. Hölderlin singt jetzt in seinen Hymnen an die Freiheit von dem Tag der Ernte, wenn der Bund der Helden den Sieg errungen hat, »wenn verödet die Tyrannenstühle, Die Thrannenknechte Moder sind«. »Die Schöpfungsstunde der Freiheit schien ihm gekommen und das griechische Heldentum wiedergekehrt in den sranzösi- schen Revolulionshelden«. Hölderlin erwartet von der mit den Ideen Frankreichs, Kants erfüllten Dichtung Deutschlands eine Höherführung des menschlichen Daseins. Seine Hymnen an die Ideale der Menschheit sind ganz erfüllt von diesem Idealismus. Seine Liebe gehört nun dem Menschengeschlecht, nicht mehr dem einzelnen Menschen. Für die Entwicklung, die Ideale des gesamten Menschengeschlechts will er kämpfen. Freilich, sein Naturell ist nicht zum Kampf geschaffen, taugt nicht zum Heroischen. EL sucht arkadische Ruhe, ely- säisches Glück, es sucht das Paradies, den Himmel, in sich ver senktes Christentum. So aber, ringend mit den Geislesstürmen eines Hegel und Schilling, seiner Studiengpnossen, zerreibt er sich in ewiger »Dissonanz«. Sie wird allein von der Aussicht in das Unendliche zum Glück gewandelt. Die idealisch-heroi- schen Tendenzen seiner Dichtungen verschaffen ihm den ersten Ruhm, Schillers Interesse. Er denkt an «ine Formung seiner Innenwelt im Roman »Hyperion«. Bevor er ihn vollendet, verläßt er Tübingen, wird durch Schiller Hauslehrer im Hause von Frau von Kalb und tritt nun noch enger in die Atmo sphäre der Schillerschen Welt, die er in »Anmut und Würde verkörpert findet. Die philosophische Abstraktion und das Leben zu verschmelzen wird sein Bestreben, besonders in dem zuerst als Briefroman angelegten »Hyperion«. Die Nähe Schillers, Goethes wird ihm aber zum dauernden Vorwurf; er entflieht in die Heimat und nimmt von hier aus 1796 eine Hofmeister stelle im Hause der Frankfurter Bankiers Gontard an. Hier erwächst ihm seines Lebens Schicksal: in seiner Liebe zur Frau des Hauses, Susette Gontard: »Diotima«. Seine Liebe findet Erwiderung. Beide erleben sich in idealischer Reinheit, in seligem Glücke. Aber di- durch die Wirklichkeit aufgezwungene Entsagung macht das Glück leidvoll, führt zur Trennung im September 1798. Unter dem Einfluß dieser Liebe wird der »Hyperion«roman fertig. Hölderlin weilt zuerst, nun immer mehr in sich versinkend, bei einem Freunde, dann nimmt er wieder Hosmeisterstellungen an, in Hauptwyl bei Konstanz und 1801 in Bordeaux. Sein Leben ist fortan der Geliebten geweiht. Seine Gefühlswelt gibt sich aus in kostbaren Oden voll seltsam stiller Lebensheiligung. Dagegen treibt sein metaphysisches Ringen immer mehr der Katastrophe zu. Er kämpft um seinen ästhetischen Pantheismus, bildet ihn in immer stärkerer Klarheit aus und scheitert doch, als er ihn im einzigen Drama, das er versucht, gestalten will: im »Tod des Empedokles«. Hier will er sein Höchstes geben, seines Lebens Krone: »Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen, Nur einen Herbst zu reisem Gesänge mir. Daß williger mein Herz vom säßen Spiel gesättigt dann mir sterbe. . .« Aber das Schicksal gewährte ihm keine Erfüllung. In Bor- deaux brach der Wahnsinn aus. Wohl nicht veranlaßt durch seine entsagungsvolle Leidenschaft zu Diotima, sondern durch die ge ringe Widerstandskraft seines Nervensystems gegen die ewigen Anstürme seiner geistigen Leidenschaft. Auf einer instinktgelei teten Fußwanderung erreichte er die Heimat. Hier war in zwischen, am 22. Juni 1802, Diotima an den Röteln gestorben: ihr Tod senkte tiefe Melancholie in seinen halbbewußten Geist. Genesung fand er nicht mehr. Er lebte erst bei der Mutter, bei Freunden, in einer Heilanstalt und dann bis zu seinem späten Tode am 7. Juni 1843 im Hause eines Tischlers in Tü bingen, immer noch literarischen Arbeiten hingegebcn, nicht im völligen Irrsinn, sondern gleichsam ein stets Träumender, der die Zusammenhänge des Seins verloren. Hölderlins Werke ragen nicht aus dem Schaffen der Zeit ^ durch ihren Umfang hervor, sondern durch ihre Bedeutung: die
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