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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.03.1920
- Strukturtyp
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- 1920-03-23
- Erscheinungsdatum
- 23.03.1920
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- Deutsch
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6L, 23. März 1920. Nedaktioneller Teil. BürsrnblaU f. d. Dtschn. Buchhandel. Lyrik, der Roman »Hyperion«, dar Dramenfragment »Der Tod des Empedokles«. Die deutsche Dichtung hat kein zweites Schaf, scn, das sie dem Hölderlins an Schönheitsfülle und hellenischer Neugeburt an die Seite setzen könnte. Seine Lyrik hat Rudolf Haym in seiner Romantischen Schule inhaltlich am besten charakterisiert: »Entfernt von aller Beziehung auf das Öffentliche, sind es die zartesten und indi- vidualslen Stimmungen, die weichsten und sormflüchtigsten Ge fühle der Sehnsucht nach Wehmut, der unbefriedigten Liebe und der ziellosen Begeisterung, die Hölderlin zu verdichten und wie in goldenen Gefäßen zu sangen, zu fesseln versucht. Die gestaltlos wogende Empfindung ist ihm, kraft seiner innigen Liebe zum Schönen, an Gedanken, Bilder und Gedichte zu knüpfen und in rhythmischen Gestalten zu verkörpern gelungen. Eine uner schöpfliche Quelle edler und prächtiger Bilder strömt ihm aus der Tiefe seines Gefühls für die Natur zu. In den glänzendsten Erscheinungen der Erde und des Himmels, in dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten spiegelt sich treu und klar jede Stim mung seiner Weichen und reinen Seele. Zugleich aber treten alle die mannigfaltigen Naturbilder, die er in plastischer Deut lichkeit an uns vorübersührt, immer wieder in den Hintergrund vor dem Eindruck, den die Natur als Ganzes auf sein Gemüt macht. Sie ist die Vertraute seiner Schmerzen, er ist der Einge weihte ihrer Geheimnisse. Ihrem Gekfte fühlt er sich Verwandler als dem Geiste der Menschen. Sie ist das Göttliche, das er liebend verehrt, vor dem er sich in tief empfundener Abhängig keit erkennt. Sein Glaube an die elementaren Mächte der Natur ist aufrichtiger religiöser Glaube, und niemals sind an irgend eine Gottheit innigere Gebete gerichtet worden als die, mit denen er das heilige Licht der Sonne, die Erde mit ihren Hainen und Quellen und den .Vater Äther' anruft. Zwischen diese pantheistisch-mystischs Naturmythologie aber drängen sich die Bilder und Geschichten des alten Griechenlands. Die Er innerung an Land und Volk, an die Taten und Werke der Grie chen vertritt in seinen Oden und Elegien das Element der Fabel, der Götter- und Heroenmythos, um welches sich in der Chorlyrik der Alten die weisheitsbolle Begeisterung herumschlingt. Es ist ein leicht übersehbarer Gedanken« und Empsindungsgehalt, den diese Lieder umkreisen. Sie feiern die Geliebte; sie Preisen teure Stätten der Heimat; es sind stimmungsvolle Bilder des Naturlcbens oder Hymnen an das Alllebendige; es sind sehn suchtsvolle Vergegenwärtigungen der Herrlichkeit, die einst an den Küsten Griechenlands und Kleinaflens geblüht hat. Aus einer musikerfüllten Seele sind sie geboren. Die antiken Vers maße sind hier zu deutschen Rhythmen geworden, keine Hem mung und Befremdung erwächst mehr aus ihnen. Sie ziehen hinüber in ihre süße, elegische Stimmung, in ihre beseelte Har monie und sänftigen alle Zerrissenheiten des Geistes zur Weh mut. Sie führen hinüber in eine romantisch erlebte, aber doch seelisch wirkliche Idealwelt. Das ist auch das Thema des Romans »Hyperion«, dessen letzte Form wieder zu den Briefen zurückkehrt. »Das Schwel gen im Ideal, das Scheitern des Ideals, die Trauer um das gcscheiierte Ideal« gibt Haym als Thema der bezaubernden Dichtung an, deren Sprache die Schönheit der Resignation hin reißend gestaltet. Die Rätsel des Lebens lösen sich auf in seli gen Bildern, und der ganze Roman wird zu einem gefühlsgesät- tigten Dithyrambus. Der psychologische Inhalt ist die Haupt, aufgabe; die konkrete Fabel bleibt notwendigstes Rankenwerk. Ganz kommt es Hölderlin auf das dionysische Auskosten der Tiefen des Leider bis zum Schrei des Schmerzes an, »wenn der Mann zuletzt es nicht mehr trägt«, bis zum Gewinn einer neuen Lebensmöglichkeit aus der auf die Spitze getriebenen Leiden schaft: »So klammert sich der Schisser endlich noch an jenen Fels, an dem er scheitern sollte«. Ein Tassoschicksal ist Hypcrions Sein: Hölderlin sieht und gibt es wieder als »Auflösung der Disso nanzen in einem gewissen Charakter» mit klassischer Emp- findungsreinheit und Jdeentiefe. Wie der »Hyperion«, so hat auch »Der Tod des Empedokles« für den Dichter zuerst ein psychologisches Interesse an dem Motiv der Sage von dem sizilischen Dichterphilosophen, der sich Gott dünkt und sich, um den Glauben an seine Göttlichkeit zu er halten, in den Aetna stürzt. Im titanischen Ringen mit dem Problem des Dramas wird aber das Werk immer mehr zum Thema seines Lebens: »allein und ohne Götter», »nichts anderes als seine Seele fühlen«, sie fühlen in ihrer ganzen leichten Zer störbarkeit, hinauswachsen in das Unendliche über alle Jrdisch- keit hinweg, im »letzten höchsten Aufschwung«. Die Fragmente des Dramas sind auf dem Wege zur Gestaltung dieser höchsten Ideen« und Gefühlswelt Hölderlins. Seinen »liebsten Schwaben« hat Schiller den ewig jüng lingshaften, schwärmenden Landsmann, den er stets betreut, nur in höchster Not aus unbekannten Gründen übersehen hatte, ge nannt. Aus der schwäbischen Natur ist Hölderlins Wesen in seinem absoluten Streben, die Welt durch die Idee zu über winden, und in seiner leidenschaftlichen Hingabe an das Gefühl, in seiner Sehnsucht nach Einigung alles Dualistschen noch am ehesten zu erklären. Hier bleibt Hölderlin ein Bruder Schillers. Er ist Vollender Klopstocks, wie mit Recht gesagt worden ist, er ist aber auch mehr als nur dies: das Genie, das das antik klassische Ideal in bleibende deutsche Kunst geformt hat. Breite Popularität wird Hölderlins Werk nie zuteil werden Dazu verlangt seine Dichtung in zu weitgehendem Maße Beherr schung aller allegorischen, mythologischen Stosfelemente der An tike. Wer aber humanistischer Bildung im tieferen Sinne noch leilhaft wurde, wird sich dem Schönheitsklange Hölderlinscher Lyrik nie entziehen können, noch wollen. Schiller war es, der Hölderlins erste Verse, die ersten Bruch stücke in seiner »Neuen Thalia« 1793 brachte. Bei Cotta kam dann 1797 bis 1799 das ganze Werk »Hyperion oder der Eremit in Griechenland« heraus, 1822 erlebte es eine neue Auslage. Höl derlins Gedichte wurden erst 1826 von L. Uhland und G. Schwab mit einer Biographie, 1843 in 2. Ausl, von G. und Ehr. Schwab herausgegeben. Christoph Schwab veröffentlichte 1848 Hölder lins sämtliche Werke: im ersten Bande Gedichte und Hyperio», im zweiten das Fragment »Der Tod des Empedokles«, Briefe und anderes aus dem Nachlaß; Schwab sorgte 1874 auch noch für eine Auswahl. Die Lyrik erschien dann ebenso wie der Ro man bei Reclam, die Dichtungen allein, von Max Mendheim herausgegeben, in Kürschners Nalionalltteratur. Wilhelm Waid- linger, der dem im Wahnsinn befangenen Hölderlin nahetrai, schrieb 1831 «ine Biographie des Dichters. Die Literaturwissen schaft nahm sich seit den siebziger Jahren Hölderlins besonders an: Wilhelm Scherer gab 1874 Vorträge über Hölderlin heraus, und seitdem folgte eine Hölderlin-Abhandlung und -Disser tation der anderen. Von Dichtern heschästigten sich Adolf Wil- brandt <1890) und Hans Bethge (Die Dichtung, Band 6) mit dem unglücklichen Bruder in Apoll. Berthold Litzmann gab Stuttgart 1897 die erste wissenschaft liche Ausgabe von »Hölderlins gesammelten Werken« heraus. Sie ist heute durch spätere Forschungen überholt, auch W. Böhms sehr schöne Ausgabe in drei Bänden bei Eugen Diederichs in Jena 1905, die bibliophilen Ansprüchen durchaus genügt, erfuhr von der Wissenschaft Kritik. Zurzeit sind zwei große Aus gaben im Druck: Franz'Zinkernagel, der 1899 seine wichtige »Entstehungsgeschichte von Hölderlins Hyperion» gab, leitet die fiinsbändige kritisch-historische Ausgabe des Insel-Verlags seit 1914, und Norbert v. Hellingrath tat sich mit Friedrich Secbatz zusammen für die chronologisch angeordneten »Sämtlichen Werke« im Propyläen-Verlag lfrllher Georg Müller), die auch Hölderlins gesamte Übersctzungsarbciten mit einem breiten wissenschaftlichen Apparat bringen. Beide Ausgaben sind noch nicht abgeschlossen. Sie werden nach ihrer Fertigstellung Höl derlins Lebenswerk in peinlichst gepflegter Form darbieten. Es bietet sich also mehr als ein Weg, sich mit dem Lebenswerk des Dichters vertraut zu machen. Die beste Einführung in Hölderlins Seele und Schaffen schrieb W. Dillheys Meisterhand schon 1867. Sein Essay bildet einen Teil von »Erlebnis und die Dichtung« <B. G. Teubner 3. Auflage, 1910). 2öS
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