Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.01.1884
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1884-01-14
- Erscheinungsdatum
- 14.01.1884
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18840114
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-188401141
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18840114
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1884
- Monat1884-01
- Tag1884-01-14
- Monat1884-01
- Jahr1884
-
177
-
178
-
179
-
180
-
181
-
182
-
183
-
184
-
185
-
186
-
187
-
188
-
189
-
190
-
191
-
192
-
193
-
194
-
195
-
196
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
11, 14. Januar. Nichtamtlicher Theil. 179 Nichtamtlicher Theil Autorrecht und Leihbibliothek. Das „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes" hat sich in jüngster Zeit zu seinen anderen Zielen auch die besondere dankenswerthe Aufgabe gestellt, den materiellen Interessen der Schriftstellerwclt und somit auch dem Buchhandel und dessen Ein richtungen, noch mehr als bisher geschehen, eine hervorragende Aufmerksamkeit zu widmen. Ein interessanter Artikel dieses Genres aus der Feder des scharfen Beobachters und geistvollen Erzählers Karl Emil Franzos eröffnet im Jahrgang 1884 die Reihe der in Aussicht gestellten Arbeiten, welche dieser neuen praktischen Richtung folgen werden. Gern machen wir von der uns ge wordenen Erlaubniß Gebrauch, diesem Artikel durch Abdruck im Börsenblatt die wünschenswerthe anregende Verbreitung im leb haft interessirten Kreise der Berufsgenossen zu geben. Er lautet: Das ist Frau X. in 'il. Ob es auf dieser Gotteswelt noch irgendwo eine gleich durchgeistigte Person gibt, ist billig zu bezwei feln. Ihr Interesse für Dichter und Dichtkunst ist rührend, ihre Be lesenheit imponirend, ihre Hingabe für ideale Zwecke grenzenlos. Wer sie ansieht, muß an den einstigen Nebentitel eines süddeutschen Blattes denken, auch sie ist ein „Organ für Geist, Gemüth und Publizität". Rechnet man den Reichthum und das Ansehen ihres Gatten hinzu, so wird man begreifen, daß sie die„gebildetste"Frau in ll. ist. Was sie anregt, setzt sie durch, und als sie vor einigen Jahren zu wohlthätigem Zweck einen Vortragscyklus arrangirte, in welchem bekannte Poeten ihre Werke lesen sollten, glückte dies auch. Nicht bloß Sterne zweiten Ranges kamen nach ^.; sogar den populärsten, damals lebenden Erzähler lockte diese Dichterfängerin aus der Haupt stadt herbei. Wie ihr dies gelang? Ganz einfach: durch einen Brief, worin sie hinreißend schilderte, was ihr seine Werke seien, — „der Trost, das Licht ihres Lebens." Auch hatte der Dichter seine Reise nicht zu bereuen; es verlief Alles herrlich, — zuerst die Vorlesung, dann das Fest im Hause der Verehrerin. Es war ein überaus prunkvolles Fest, selbst dem verwöhnten Dichter imponirte solcher Luxus, aber die Hausfrau wußte es ihm behaglich sin machen. Sie ist auch sonst beredt genug, und nun erst an diesem Abend! Mit welcher Innigkeit spricht sie von seinen Werken, wie bedauert sie, daß der Genuß der heutigen Vorlesung ein so kurzer gewesen! Aufrichtig gerührt, will ihr der greise Dichter eine kleine Freude machen: als ihn nach Tische einige Damen bestürmen, nun eine seiner schönen Volksgeschichten zu lesen, willigt er ein. Er bemerkt nicht, daß die Durchgeistigte ver legen geschwiegen. Erst als er munter sagt: „Nun aber eins meiner Bücher! Auswendig kann ich nichts!" gewahrt er ihre Befangenheit. „Sie besitzen ja meine Werke?" Sie schweigt. „Kein einziges?" Sie schweigt. Da eilt ihr Töchterchen herbei. „Aber Mama, diesen Band hast du ja gestern selbst geholt!" Und sie legt einen zerfetzten, schmie rigen Leihbibliotheksband auf die damastene Tischdecke vor den Dich ter hin. Der Greis faßt den Band behutsam an. „Nur rasch fort damit, liebes Fräulein! Das gäbe einen bösen Schmutzfleck auf die Pracht!" Als der theure Mann, dem dies begegnet, mir sein Erlebniß erzählte, spielte ein eigenthümliches Lächeln um seine Lippen. „Ist dies lustig oder traurig?" fragte er; ich wollte, ich könnte dies Lächeln in Worten malen, das wäre zugleich die beste Antwort. Mir bleibts unvergeßlich und ebenso der Ton seiner Stimme: „Das ist doch recht, recht bezeichnend!" Aber ich denke, noch viel bezeichnen der wäre die Art, wie man diese Geschichte in verschiedener Herren Länder glossiren würde. Man erzähle sie in Frankreich, England oder Dänemark und wird hören: „Pardon, aber das ist doch gewiß nur eine erfundene Anekdote?!" Man erzähle sie in Deutschland und die einzige Antwort wird die Frage sein: „Natürlich ist die Sache hier passirt? Wir dachten's gleich! Aber bitte, seien Sie doch nicht so discret, — nicht wahr, Sie haben Frau Meyer ge meint?!" . . . Ja, so wird man in Dentschlaud sprechen, denn „Uoblssos obliZo" und wir heißen nicht bloß das Volk der Denker und Dichter, sondern wir sind's auch wirklich! .. . Was aber jene Durchgeistigte betrifft, so kann ich nur sagen, daß ich wirklich nicht die Frau Meyer gemeint habe. Den Namen des Dichters darf ich verrathen: Berthold Auerbach, — den seiner Göuuerin nicht. Erstlich, weil es eine Dame ist, zweitens, weil nach der Ansicht einer meiner eigenen Gönnerinnen ihr Verschulden nur darin besteht, sich nicht für jenen Abend ein neues Exemplar von Auerbach's Gesamtausgabe aus der Buchhandlung geliehen zu haben, endlich aber weil — weil ich, je länger ich darüber nachdenke, immer klarer einsehe, daß ich eigentlich doch die Frau Meyer gemeint habe ... Jene Frau Meyer, an die auch Du sofort gedacht, lieber Leser! Die Frau Meyer, die wir alle kennen, die in jeder deutschen Stadt hundertmal zu finden ist, die zwar nicht immer sehr reich und sehr durchgeistigt ist, aber stets gleich opferfreudig für die Literatur ihres Volkes. Jene Frau Meyer und jenen Herrn Meyer, die keinen Luxus entbehren, keine Freude des Lebens, nur gerade eine der besten und reinsten: einen Schatz stiller Freunde und Tröster zu haben, die nie versagen, die stets mit milden Stimmen zu uns sprechen, so oft wir zu ihnen flüchten. Jene Familie Meyer, deren Anschauung über die sittliche Pflicht jedes Gebildeten gegen die geistige Production seines Volkes beiläufig ebenso reinlich ist, wie die Bände, aus denen sie diese Production kennen lernt. Jene zahl lose Sippe Meyer, jene Million Meyers. . .. Doch halt! — ich gerathe da, wenn auch erst mit den aller letzten Worten in einen Ton, einen Gedankengang, den ich von vorn herein zu vermeiden entschlossen war, den ich auch an Anderen miß billige. Nicht etwa, als ob ich den Schmerz, die Entrüstung des Ein zelnen über die Theilnahmlosigkeit des Publicums nicht begriffe oder gar grundsätzlich ein kräftig' Wort verpönte; ich weiß, man macht gewissen Leuten Wahrheiten nur dann fühlbar, wenn man sie ihnen festgeballt an die harten Köpfe wirft. Aber ich glaube, daß jeder Autor, der dies Thema in leidenschaftlicher Klage, wie ein persönliches Weh, oder in Zorneswettern gegen Millionen, gegen das ganze Volk behandelt, mehr Schaden als Nutzen stiften muß, Schaden für sich, Schaden für die Sache. Denn jedem solchen Erguß folgt die Mißdeutung. Mögen wir unserem Volke das Lied von dem Jammer unserer literarischen Zustände und insbesondere die Schaucrballade von der Leihbibliothek in welcher Tonart immer Vorsingen, die lyrischen Tenore im Moll sanfter Klage, die glück lichen Besitzer gröberer Stimmen im Baßton bitteren Grolls, — es horcht kaum auf das Lied, es sieht nur auf den Sänger und fragt sich, warum gerade er die unerquickliche Melodie gewählt. Ist aber einmal die Frage so gestellt, dann ergibt sich den guten Leuten die Antwort von selbst: „Der Mann ist verbittert, weil er zu wenig Erfolg hat, zu wenig Geld verdient. Und dies soll eine Sache des deutschen Volkes sein? Lächerlich! Er soll bessere Bücher schreiben, daun wird er nicht zu jammern brauchen!" Und wenn es der leib haftige Gustav Freytag wäre, das hochverehrte Publicum spräche nicht anders! Das ist sehr traurig. Weniger für den Einzelnen, der sich über das Gerede um so leichter hinwegsetzcu kann, je bedeutender er ist, als für die Sache. Ihr geschieht hierdurch das zehnfach brutalere Unrecht, der zehnfach größere Schade. Denn sie rückt durch solche persönliche Streiflichter in falsches, in schiefes Licht, und nur dieses Hereinzerren kleinlicher Empfindungen und Motive von hüben und 26*
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht