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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.01.1883
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1883-01-22
- Erscheinungsdatum
- 22.01.1883
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- Deutsch
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306 Nichtamtlicher Theil. 17, 22 Januar. mehr oder minder bewußten Gefühl, daß sie sich durch derartige Parteinahme das Relief von Sachverständigen auf geistigem Gebiet verleihen und ihr Nichtsthun in den erfreulichen Ruf der still wirkenden Gedankenthätigkeit eines anspruchlosen Privat gelehrten kleiden. Nirgendwo vermag man auf eine so sichere Beherrschung und vollständige Aufzählung aller Gründe für die Heilsamkeit der in Rede stehenden Verbesserung zu rechnen, als bei diesen vortrefflichen Leuten, denen die Aufnahme der fremden Meinungen durch keinerlei Vorurtheil einer eigenen erschwert wird. Bescheidenen Gemüthes begnügen sie sich, von dem großen, in der Luft schwebenden Lorbeerkranze ein winziges Blattrippchen sich anzneignen und in den Kreisen ihres Verkehrs lächelnd an- zudeutcn, daß sie vielleicht auch ihre geringen Verdienste an dem schließlichen Zustandekommen des segensvollen Werkes besessen. Nach einem ganzen Lorbeerblatt, freilich curiosester Art, für sich allein hat dagegen in jüngster Zeit ein weniger gewisser, als ungewisser Herr Paul Lang gegriffen, der seine Abstammung nicht unpassend aus der guten Stadt Maulbronn herleitet und, wie es scheint, dort an der Quelle zu einem Sonett begeistert worden, das, „Ich srug" überschrieben, mit den Versen anhebt: „Ich srug mich manchmal in den letzten Tagen: Woher stammt wohl die edle Form: er srug?" Daran ist mir allerdings etwas unverständlich geblieben, warum Herr Paul Lang dies erst „in den letzten Tagen" gethan, da er selbst als Hundertjähriger schon in der ganzen Zeit seines Lebens ebenso viel Anlaß dazu gefunden hätte, und ich habe mir keine andere Antwort darauf zu geben vermocht, als daß Herr Paul Lang muthmaßlich erst sehr kürzlich aus den Windeln gekommen sein und gleich die ersten Tage seiner Weltanschauung zu obiger Frage benutzt haben mag. Es stimmt damit überein, daß er einige Verse weiter die Jmperfectbildung „srug" als eine „Neuerung" bezeichnet. Sehr verständlich schüttet er aber als dann seine linguistische Zornesschale über die heillosen Erfinder derselben aus und droht uns, falls wir nicht von ihr abließen, werde er künftig auch „er Plug, rüg, tug, zug, lug, wug rc." schreiben. Das muß unser Jahrhundert sich denn mit manchem Sonstigen gefallen lassen, und Deutschland wird hoffentlich an diesem neuen Pelidenzorn nicht zu Grunde gehen. Was es sich indeß eigentlich nicht gefallen zu lassen brauchte, ist, daß sofort sämmtliche deutsche Zeitungen in ihrem „Vermischten" dies Sonett als eine ausnehmend tiefsinnige Satire, nicht auf Herrn Paul Lang, sondern auf unsere lästerliche Sprachgepflogenheit colpor- tiren. Ein Sprichwort deutet darauf hin, daß Leute, die im Glashause sitzen, besonders gern mit Steinen um sich werfen, und so nimmt es mich denn auch durchaus nicht Wunder, daß des Weiteren eine Zeitung der andern das zuerst in den „Grenz boten" veröffentlichte Maulbronner Reimwerk stets als „ein reizendes geharnischtes Sonett gegen die abscheuliche Form 'Ich srug'" nachdruckt. Es ist wie ein Blitz der Erkenntniß vor ihnen niedergefahren; gestern haben sie selbst noch alle als unschuldsvolle Engel „srug" geschrieben, heute sind sie von der „Abscheulichkeit" dieser Sprachsünde zornig durchdrungen und werden dieselbe acht Tage lang nicht mehr begehen. Das sind die weniger erquicklichen Folgen davon, daß wir ein Grimm'sches Wörterbuch unserer Sprache besitzen, in welchem jeder Paul Lang in gelangweilten Stunden herumblättern und die Auseinandersetzungen darin falsch verstehen kann. Weil das selbe mittheilt, die Jmperfectform „fragte" sei sprachrichtiger abgeleitet, fühlt der Sonettist sich von der jähen Erkenntniß dieser „letzten Tage" (in denen er den Grimm aufgeschlagen) durchdrungen, der Welt seine neueste Errungenschaft kundzuthun, daß die Form „srug" einen Sprachfehler enthalte. Man besitzt offenbar in dem paradiesischen Zustand zu Maulbronn keinerlei Ahnung von dem sündhaften Lebensgange einer Sprache und weiß nicht, daß diese, mit unumschränktester Willkürlaunc schaltend, legitimen und illegitimen Kindern vollständig die gleiche Be rechtigung zngestcht, sobald die letzteren sich eine allgemeine An erkennung und Ausnahme in gebildeten Kreisen erworben. Das mag in manchen Fällen vollkommen widersinnig erscheinen, im Anfang sogar dann und wann das Ohr mißtönig berühren, aber die Sprache ist eine Absolutistin, die sich in ihren Willen nicht dreinreden läßt. Sie fragt nicht, ob eine Entwicklung richtig sei, sondern einzig, ob sie dieselbe zum Sprachgebrauch erhoben; aus welchem mangelhaften Beweggrund sie dies vielleicht gethan und ob besonders kluge Leute ihr dafür mit Sonetten Mißachtung bezeugen, bekümmert sie nicht im geringsten. Mit dem gelassenen Gleichmuth jedes Allmachtbewußtseins drückt sie der neuen Münze den Stempel der Vollgültigkeit auf und gibt ihr Zwangscours. Dies hat sie bei dem Jmperfect „srug" bereits seit ungefähr anderthalb Jahrhunderten gethan, und zwar schon damals nicht im Munde des Volkes allein, sondern in den Hinterlassenschaften unserer größten Dichter, zu denen man vielleicht auch in Maul bronn Goethe, Schiller, Wieland und Bürger noch rechnet. Sie alle gebrauchen die Formen „fragte" und „srug" nebeneinander, doch mit offenbarer Hinneigung zum letzteren, wo sie eine poetische Klangfarbe erstreben. Und darin liegt muthmaßlich der Grund seiner Entstehung zu suchen, in einem mehr oder minder be wußten Trachten, der traurigen Abschleifung und Entkräftung unserer Sprache entgegen zu wirken. Nur für das Ohr Herrn Paul Lang's und das urplötzlich so ungemein mitgeschärfte Gehör der Redacteure des „Vermischten" in den deutschen Zeitungen besitzt die Form „Ich srug" einen „abscheulicheren" Klang, als „ich schlug, ich trug" u. s. f. Für den noch übrigen Bruchtheil des deutschen Volkes bildet dieselbe eine Bereicherung der Sprache, zumal im dichterischen Ausdruck, wo sie, als die kürzere, sich dem Verse schlanker und zugleich voller tönend anbequemt. Im Uebrigen indeß bedienen zahllose Schriftsteller des vorigen Jahr hunderts sich ihrer auch bereits in der Prosa, und es wäre jeden falls wünschenswerther gewesen, wenn Herr Paul Lang an den jetzt Lebenden etwas mehr Schonung geübt und den fragenden Grimm seines Sonettes schon vor der Befragung des heutigen Grimm in etwas „früheren Tagen" ausgeschüttet hätte. Damals hätte er sich vielleicht noch als Drachentödter unsterblichen Nach ruhm an dem „abscheulichen" neugeborenen Gewürm erworben; die schnöde Jetztzeit wird ihm nur die Windmühlentrophäen des edlen Ritters von La Mancha zuerkenneu. Ueberhaupt aber wäre es wünschenswerth, wenn unsere Zeit dann und wann einmal etwas aus früheren Tagen läse. Ein wenig vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts ward z. B. in Breslau ein bescheidener Mann, Namens Christian Garve, ge boren, der eine kleine Schrift „Einige Betrachtungen über Sprach- verbesserungen" mit dem Satz anhub: „Ich kann mich irren, aber mich dünkt, daß es nur die Nation selbst ist, die durch die allmählichen Fortschritte in dem Umfange und der Richtigkeit ihrer Erkenntnisse die Sprache aus bildet; daß, wenn die Bemühungen einzelner Personen dazu beitragen, dies nur die großen Schriftsteller sein können, die mit ihren Ideen zugleich ihre Ausdrücke der Nation beliebt machen." Die kleine Schrift ist Geheimräthen, Fanatikern lateinischer Schriftlichen, sowie zu Maulbronn in ihrer überaus klaren Deutlichkeit zum weiteren Durchlesen bestens zu empfehlen.
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