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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.05.1885
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- 1885-05-06
- Erscheinungsdatum
- 06.05.1885
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- Deutsch
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^ t03, 6. Niai. Nichtamtlicher Teil. 2151 tonische Anordnung der Inschrift auf mittelalterlichen Gräbern vergleicht, weiß, was wir meinen. Erst dem Mittelalter war es beschieden, die künstlerischen Triebe, die in der Plastik und anderen Künsten unterbunden blieben, auf die Schriftzeichen anzuwenden, und was unsere Vorfahren in dieser Hinsicht geschaffen haben ist ein natürliches Gewächs, das organisch aus seinen Bedingungen heraus gewachsen ist. Nur ein nivellierender Sinn, der die Individualität erdrückt, kann die lateinische Letter für schöner halten. Die praktische Frage! Man sagt, die deutschen Lettern ver derben die Augen. Wenn man in England weniger Brillen trägt, als bei uns, so ist daran die Antiqua vollständig unschuldig. Sport, Leibesübungen, die gesunde Meerluft Englands, welche die Wangen rötet und die Augen blitzen macht: das erhält den Engländern ihre guten Augen der Antiqua zum Trotz. Ein täglicher Leser der »Times« unter gleichen Bedingungen körperlicher Anlage und natürlicher Umgebung würde sich auf alle Fälle die Augen schneller verderben, als ein Leser deutscher Zeitungen. Nichts strengt die Augen mehr an, als die kleine lateinische Letter, mit der z. B. die »Times« gedruckt sind. Was unsere Augen im allgemeinen verdirbt, ist ja nicht die Form der Letter, sondern ihre Kleinheit. Vor den kleinen Lettern warnen die Augenärzte. Und gerade hier ist eine deutsche Miniaturletter gegenüber einer kleinen Antiqua im Vorteil durch ihre Form. All unser Lesen ist zum großen Teil ein Erraten; die deutsche Letter begünstigt durch ihre individualisierte Form dieses Erraten außerordentlich, wie eine kleine lateinische Letter es er schwert. Das ist der Vorteil all der Häkchen und Ecken und Kanten deutscher Schriftzeichen, daß sie in der kleinsten Form ein schnelles Erraten fördern, wie man einst die Runen erriet. Es ist aber für die Gesundheit des Auges beim Lesen von höchster Wichtigkeit, daß, besonders bei kleiner Schrift, nicht jedes Wort eigens entziffert werden muß. Darum sind auch die großen Anfangsbuchstaben der Hauptworte unserer deutschen Schrift so wohlthätig, weil sie an sich schon dem Leser symbolisch sagen: hier kommt ein wichtiges Moment des Gedankens, hier konzentriert sich das Wesentliche der Wort folge, der Anschauung, da fliege dein Auge hin! Franzosen und Amerikaner machen sich lustig über unsere komplizierten Satzkon struktionen. Nun, wir können uns gerade auf Grund unserer großen Anfangsbuchstaben diese geistigen Kraftleistungen gestatten; haben es nicht nötig, wie die Kinder in abgebrochenen Sätzchen zu lallen; sondern können wie der Demosthenes der Griechen, wie dieses Jntclligcnzvolk überhaupt, in einer energischen geistigen Spannung architektonische, gotische Organismen des Satzbaues kräftig hin stellen. Das Beste unseres geistigen Lebens hängt mit an diesen Anfangsbuchstaben, die uns das intuitive Verständnis langer Perioden vorahnen lassen und der Tüchtigkeit unseres Denkens nur zu gute kommen. Was wirkt ästhetisch, anschaulich und innerlich gewaltiger: „Im anlanZ sobuk gott birnoasl null srcks, unä 61s sräs vnr vnsst null Issr null äer gsist Zott.ss svbvvsbts nsbsr cksn V8.88SrQ," oder: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer und der Geist Gottes schwebte über den Wassern." Ist es nicht, als ob diese deutsche »Erde« und diese »Wasser« mit dem großen Anfangsbuchstaben auch bei weitem mehr ein Bild des schöpferischen Gedankens wären? Es ist der größte Vorteil unserer Schrift, daß sie die sogenannten Hauptworte, die Dingworte durch große Anfangsbuchstaben selbst gewissermaßen als Dinge symbolisiert und dadurch der Phantasie zu Hilfe kommt. Es spielt hier ein Gesetz der Vorstellungsverknüpfung hinein, durch das eben unsere Väter erst dazu kamen, große Anfangsbuchstaben einzuführen. Wir sind ein Phantasievolk und wollen es bleiben mit unseren schönen, geistvoll erfundenen deutschen Lettern. Es droht eine weitere Gefahr in der Antiqua-Schrift. Den Bemühungen Lessings und Goethes besonders danken wir es, daß wir gegenüber dem Gemengsel von Fremdwörten, die nach dem dreißigjährigen Kriege aus Frankreich, Spanien u. s. w. bei uns überhand nahmen, wieder zum Wortschatz unserer Muttersprache griffen. Man vergleiche Lessings und Goethes Schriften mit den Schriften der Mehrzahl unserer zeitgenössischen Autoren, um zu staunen, mit wie wenig Fremdwörtern diese Klassiker auskamen und zu sehen, wie — ach, es ist ein Fremdwort! — wie renommistisch wir neuerdings wiederum Fremdwörter einsetzen statt der guten deutschen Worte. Unsere Sprache ist nicht arm; sie ist unermeßlich reich und die reichsten Geister beweisen es Arme Geister, ungenau denkende Köpfe greifen mit Vorliebe zu Fremdwörtern, damit ihre alltäg lichen Gedanken wenigstens auf diese Weise weniger alltäglich er scheinen. Die witzigsten, schärfsten und wahrhaft gedankenvollen Geister schreiben bei allen Völkern dagegen vorwiegend mit dem Wortschatz ihrer Muttersprache. Die Antiquaschrift begünstigt leider das Einschmuggeln von Fremdworten außerordentlich. Mit dem Fremdwort nimmt auch das phrasenhafte Sch lag Wort überhand; versuche man den Rattenkönig von verschiedenen praktischen Interessen und falsch gestellten Fragen, den wir z. B. die »soziale Frage« nennen, mit einem deutschen Worte, das alles zusammen faßt, zu bezeichnen, so wäre der Verwirrung der Köpfe, der Meinungen und der Parteien ein Damm entgegengeworfen, der in zwanzig Jahren diese Frage in gewissem Sinne wohl aus der Welt schaffen würde. Redeten wir statt dessen von einer Arbeiterfrage mit einem guten deutschen Wort in deutschen Lettern gedruckt und nicht mit der Antiquaschrist der römischen Faulenzer, welche xausm st oiresnsss heischten und nichts arbeiteten und doch mit unseren neuesten »Arbeitern« zu- sammengeworfcn werden — redeten wir ehrlich in gutem Deutsch von einer Arbeiterfrage, so wäre bei geringerer Verwirrung der Standpunkte auch mehr thatkräftig in dieser Sache zu leisten. So verderben uns auf vielen Gebieten die Fremdworte, bei denen jeder etwas anderes denkt, die Politik, die Philosophie und Wissenschaft. Sie sind aber die getreuesten Schildknappen der Antiquaschrift. Die französische Sprache und andere romanische Sprachen sind von einer außerordentlich glücklichen Reinheit ihres Wortschatzes im nationalen Sinne. Sie sind es, weil unsere deutschen Schriftzeichen, die nur wenige kennen, an sich schon eine Art Schutz zoll gegen das Eindringen deutscher Worte Hervorbringen. Im selben Sinne würde umgekehrt die Ausmerzung der Antiquaschrift bei uns nur zum Vorteile unseres nationalen Wortschatzes sein. Ein Grundirrtum, und zwar ein phantastischer Irrtum, der selbe, der auch von einer »Weltsprache« redet, liegt versteckt in der ganzen Bewegung für einheitliche geistige Einrichtungen über den Erdball. Wenn unsere Telegraphendrähte allmählich die ganze Welt umspannen, so werden wir deshalb doch niemals wirkliche Welt bürger werden. Niemand kann ein Weltbürger sein; wir können immer eine weltbürgerliche Gesinnung haben. Münchener Bürger sind wir in Wahrheit, zahlen unsere Steuern, weil für uns zweihnndertvierzigtausend Menschen der kleine Erdenfleck, den der Burgfrieden der Stadt München umschließt, auch der wirkliche Raum ist, in dem im allgemeinen unser körperliches Ich spazieren geht. Eine verschwindende Minderheit der Menschheit ist es, welche sich draußen auf den Meeren umhertreibt und den Verkehr der Völker vermittelt. Kommt ein Japanese zu uns, soll er deutsch reden und Hofbräu trinken lernen, er ist uns willkommen; fahren wir gen Japan, so ist der wahre Reichtum geistiger Art, den wip 2S8*
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