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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.08.1886
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1886-08-18
- Erscheinungsdatum
- 18.08.1886
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- Deutsch
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itzO, 18. August 1886. Nichtamtlicher Teil. 4419 ankämpfende und von jenem Publikum verpönte Litteratur der »Hasechala« führt. Diese sogenannte »Hasechala« hat neben der Tagespresse das größte Verdienst um die Bildung und Verbreitung des Wissens nicht allein in Polen, sondern auch in allen, selbst den entlegensten außereuropäischen Gemeinden, wo immer nur die hebräische Sprache gelesen wird. Sie umfaßt nämlich unter dieser Bezeichnung alle erschienenen Übersetzungen jener fremdsprachlichen Werke, welche die Errungenschaften des modernen Wissens auf dem Ge biete der Physik, Chemie, Medizin, Mathematik rc. bringen, sowie die schöngeistigen Preßerzeugnisse. Eine gelungene hebräische Übersetzung der Romane eines Sue, Dumas, Disraeli, Verne wird von dem jüdischen Buchhandel in Rußland den eifrigem Lesern in Persien, Bochara, China rc. geliefert. Von weitester Ferne, wie aus dem benachbarten Galizien kommen die hebräischen Buchhändler, um ihre Einkäufe zu machen, nach Rußland, und sie verweilen oft Wochen lang, um nur alles Gewünschte zu erlangen. Ein fester Ladenpreis existiert bei all dieser riesigen Pro duktion in der Regel nicht. Im Gegensatz zu unserem buchhändleri schen Betriebe ist fast jedes Werk bei seinem Erscheinen recht billig erhältlich, und der Preis steigert sich später mit dem Schwinden der Vorräte manchmal auf das Dreifache des ursprünglichen Preises. Nach der Größe der Bestellung verwohlseilt sich auch der Einkauf für den Buchhändler. Dagegen steigert sich der schwankende Preis bei größerer Nachfrage, wenn viele Käufer aus der Fremde ein- treffen. Die Auflagen sind übrigens recht groß, und von einem großen Absatz in Aussicht stellenden Werke werden sofort Stereotypplatten verfertigt. In großen Ballen, welche in die bekannten Bastsäcke genäht werden, wandern die Bücher fortwährend nach allen Weltgegenden. Die Bücher werden stets broschiert geliefert, da bei dem primitiven Zustande der dortigen Buchbinderei die Einbände nicht gerade schön genannt werden können. Das Changegeschäst waltet im größten Maßstabe bei diesen hebräischen Buchhändlern vor und zwar wieder nicht wie bei unseren Antiquaren, die Ladenhüter gegen Ladenhüter tauschen, sondern gleich nach Erscheinen einer Novität wird diese gegen allerlei Werke des anderen Sortimenters eingetauscht Dadurch sind die Buchhändler allerdings mehr aufeinander angewiesen, und die Konkurrenz kann nicht in Brotneid ausarten. Es ist nichts Seltenes, den Sortimenter, Verleger und Schriftsteller dort in einer Person geeint zu finden. Schriftstellerhonorare sind bei der großen Konkurrenz von Autoren aus jedem Staude, die mit der »Schriftstellerpalme« sich begnügen, ohne an den »Brotbaum« zu denken, dort fast unbekannt; gewöhnlich wird eine ziemliche Anzahl von Freiexemplaren als Honorar beansprucht — und so trifft sich's nicht selten, daß der arme Verfasser, der von der Achtung und dem Ruhme allein nicht leben kann, höchst unfreiwillig Buchhändler wird, indem er sein Werk selbst verlegt, es dann gegen andere Werke »changiert« und so plötzlich der Inhaber eines Büchcrmagazins wird, dann aber seine Verehrer und Mäcene bittet, ihren Bücherbedarf bei ihm zu decken. Bei diesem Schriststellerandrange steht der zu seinem Ver gnügen schriftstellernde enorm reiche Baron Günzburg in der gleichen Achtung wie der liebenswürdige, niehr von den Musen als von Fortuna begnadete hebräische Poet Gordon in St. Petersburg. Selbstverständlich sind die Übersetzer, trotz des eleganten Hebräisch, in welches sie die wissenschaftlichen und belletristischen Werke des Auslandes zu übertragen wissen, nicht so gefeiert wie jene auserlesenen Geister, die selbstschöpferisch wirken, wie Harkavy, der greise Nestor Slonimsky, Löwinjohn (gest.), Finn, Schulmann, Gottlober, Zweifel rc., oder wie die Romanciers und Publizisten Mapo (gest.), Smolenski lgest. in Wien), Abramowitz, Sokolow, Schapira, Zukkermann — wer nennt die Namen, wer zählt die Geister —, denen allen zwar die Mitwelt Kränze flicht und die Anerkennung nicht versagt — aber sie im Kampfe ums Dasein hart ringen läßt! — Bedeutende Kapitalien sind in diesem hebräischen Berlage und Buchhandel angelegt. Die eben von der im Jahre 1789 gegründeten Bnchdruckerfirma Wittwe und Gebrüder Romm in Wilna heraus gegebene größte Talmudausgabe in 26 starken Foliobändcn (stereo typiert) dürfte allein 300 000 Rubel gekostet haben. Außerdem exi stieren noch drei bis vier gleichfalls stereotypierte Talmndausgaben, welche durch die obenerwähnte an Vollständigkeit und zahlreichen Kommentaren unerreicht dastehende gänzlich in Schatten gestellt sind. Man rechne dazu die andern bedeutenden Werke der Mischna- und Midraschlitteratur, die ansehnlichen Codices, welche gleichfalls in verschiedenen Ausgaben erschienen sind, dann eine Legion scholastische Erklärer, Exegese rc., wie es überhaupt kein bedeutendes Werk der alten Litteratur giebt, das nicht neuerdings ediert worden wäre. Satz und Druck ist aber auch durch die vielen mit einander konkurrierenden Buchdruckereien beispiellos billig. Ein Großoktav bogen mit 3 — 4000 Auflage kostet 8 —9 Rubel, etwa 18 ^! Setzer und Drucker sind Israeliten, und die Bogen sind mit hebräischer Buchstabenzahl paginiert. Gleichfalls billig wird die Anfertigung von Matern und der Abguß der Stereotypplatten be rechnet. Dabei läßt die typographische Ausstattung wenig zu wünschen übrig, wenn eine leistungsfähige Druckerei sie besorgt. Zu den Eintagsfliegen des dortigen hebräischen Buchhandels zählt die sogenannte Jargonlitteratur, deren Bedeutung deshalb nicht zu unterschätzen ist, weil sie sozusagen das geistige Brot der mindergebildeten Massen repräsentiert, denen das Hebräische nicht so mundgerecht ist, obzwar unter den etwa 3 bis 4 Millionen Israe liten des großen russischen Reiches auch sehr viele Frauen recht gewandt hebräisch lesen und schreiben können. Es erscheinen massen haft Broschüren, die, L I bis 2 Kopeken billig erhältlich, Erzäh lungen, Sagen, Lieder, Dramen und Legenden in eigentümlichem Stile dem Volke bieten, dabei aber völlig ethisch gehaltensind, nicht im entferntesten korrumpierend, wie die Schauerromaneder Kolportage- litteratur, sondern veredelnd auf die Volksseele wirken, wenn auch in den Sagen und Legenden viel Mystik und Aberglauben unter läuft. Sogar bedeutende Hebraisten, wie der vorzügliche Gordon, haben es nicht verschmäht in die Arena des Jargons mit den Er zeugnissen ihrer Muse hinabzutreten. Vereinzelt erscheinen auch ein- bis zweibändige Romane, das jüdische Volksleben in einfacher, ziemlich realistischer Manier schil dernd, die zu 20 bis 30 Kopeken per Band einen bedeutenden Absatz erzielen. Freilich ist auch die Ausstattung danach! Wenn die Israeliten, ein ansehnlicher Bruchteil der Be völkerung Rußlands und Polens, trotz der drückenden Armut, unter welcher der größere Teil, eingepfercht in besondere Stadt teile, leidet, trotz der beschränkenden Edikte, welche sie vom Grund besitz, Ackerbau und öffentlichen Ämtern ansschließen, doch nicht ver kommen sind, einen gewissen Familiensinn bewahren und verhältnis mäßig wenig durch Verbrechen sich beflecken, so haben sie dies zum großen Teile ihrem Litteraturschatze zu verdanken, den sie erhalten, schätzen und vermehren, und vielleicht auch jener »Prinzessin Sabbath«, wie sie Heine uns so anmutig schildert und die noch dort, gleich einer Aureole, das Elend des Alltagslebens einmal in . der Woche verklärt. L9?*
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