Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.07.1861
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- 03.07.1861
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- Deutsch
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1344 Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 83, 3. Juli. Daß dem so ist, hat zwei Gründe. Der erste ist ehrenvoll für das deutsche Volk. Die Gelehrsamkeit überrascht un- erstaunt um so weniger, je großer die allge meine Bildung ist. In einer Stadt mit hundert Kirchen wird weder die Größe des einzelnen Kirchthurms, noch der Schmuck des einzelnen Bethauscs sehr beachtet; wenn aber eine Stadt nur eine einzige Kirche hat, so gilt diese für schön und ge nießt eine locale Berühmtheit. Aehnlich ergeht cs auch im Reiche des Geistes. Der vereinzelte Gelehrte, der in einer kleinen Stadt lebt, wird angestaunt, und in der Gelehrtenrepublik einer Univer sitätsstadt bliebe er unbekannt. Als in Deutschland Schreiben und Lesen noch eine seltene Kunst war, da zog man die Gelehrten und die Dichter an den Hof; Kaiser und Könige waren stolz auf ihre Freundschaft. Nun aber ein gewisser Grad von allgemeiner Bildung so verbreitet ist, daß jeder kleine Kramer und jeder Be sitzer einer Winkelherberge ein paar Verse machen kann, um die Käufer anzulocken — nun gilt das Dichten nicht mehr für etwas Großes. Aehnlich verhält es sich mit der Gelehrsamkeit. Ein wenig Eonvcrsationslexikon-Firniß und etwas Encyklopädie-Lack hat ziemlich Jeder gesammelt und etliche Redensarten zum Kan negießern und Klugschwatzcn damit angestrichcn, so daß sie eine leidlich gleißende Außenseite haben. Das genügt für die Gesell schaft. Deshalb denken sich gar Viele mit dem Gelehrten auf einer Stufe zu stehen und sehen nicht mehr an ihm hinauf. Das Grundübcl liegt aber darin, daß durch Schule und Erziehung nur Kenntnisse geliefert werden, aber die Urteilskraft nicht geübt wird, und so ist wohl ein gewisser Grad allgemeiner „Bildung" vorhanden, welcher das vcrehrungswürdigc Publicum die Nase etwas höher tragen läßt, als ehedem, aber es fehlt das Urtheil — das Urtheil über sich und Andere *). Im Grade der allgemein verbreiteten Bildung sind Italiener, Franzosen und Engländer weit hinter uns zurück; was aber praktische Bcurthcilung der Thatsachen und Verhältnisse anlangt, sind sic uns Deutschen (leider!) voraus. Aus beiden Ursachen gilt Wissen und Schrift stellern dort mehr, als bei uns. In Italien, England und Frank reich hat jeder Gebildete eine umfangreiche Bibliothek, jeder Ade lige, jeder reiche Kaufmann hält es für Ehrensache, eine schöne Büchcrsammlung sein zu nennen; in Deutschland dagegen, im Lande der Bücher und der Erfindung der Buchdruckcrei, fand man kürzlich in der Verlassenschasc eines Millionärs außer einigen einzelnen Broschüren nur ein einziges bändereiches Werk voll ständig, und dieses war — eine Ucbersetzung von Paul de Kock! Der andere Grund liegt nicht im deutschen Volke und ist nicht ehrenvoll. Wir erblicken ihn im Stande her Buchhänd ler. Als die Vervielfältigung schriftstellerischer Erzeugnisse durch die Presse einen größern Maßstab annahm, hörte der Selbstver lag der Schriftsteller auf, und die drei Stände gliederten sich, welche anfangs meistens in einer Person vereinigt waren: Ver fasser, Drucker und Verleger. Der geistige Schöpfer übergab das von ihm verfaßte Werk dem Verleger als seinem Untergchilfen, um es im Einzelnen zu verkaufen und zu verbreiten; den Gewinn thcilten Beide. Jetzt dagegen bildet sich ein großer Theil der Buch händler ein, sie seien Fabrikherrcn und die Schriftsteller ihre wei ßen Sclaven; deshalb nimmt vom Gewinn der Fabrikherr den Löwcnanthcil, Derjenige aber, ohne welchen doch weder Literatur noch Buchhandel bestehen könnte, der Schriftsteller, erhält wenig, in sehr vielen Fällen nichts. Leider darf man sogar behaupten, daß im Durchschnitt jedes schriftstellerische Werk um so weniger einbringc, je geistig höher stehend und je wissenschaftlich wcrth- *) Diese „Bildung ohne Urtheil" hat ein scharfsinniger Mitar beiter dieser Zeitschrift sehr richtig als „Culturzwitkerthum" geschildert. (Septemberheft 1860.) voller cs ist. Die Früchte zehnjährigen Schweißes sind häufig unverkäuflich, leichter Tand findet zu jeder Zeit seinen Markt. An dieser Verschlechterung des Geschmackes tragen nicht die Schriftsteller Schuld, sondern einzig und allein diejeni gen Buchhändler, welche Bücherfabrikanten sind. Das Unheil brach allmählich über die Literatur herein. Um das Jahr 1830 begann die traurige Broschüren-Wirthschaft. Als damals Oesterreich ein modernes Ehina zu sein versuchte und ge- genGeist, Fortschritt und Vernunft sich mit der chinesischen Mauer der Eensur und der Büchervcrbote abschlicßen wollte, entstand in Deutschland die Buchfqbrik auf Spekulation. Der Verleger er fand einen Titel, übergab diesen einem „Literaten" damaliger Zeit und Sorte — die Race ist glücklicherweise ausgestorbcn — und fügte den Auftrag hinzu, gegen ein bestimmtes Entgelt, ein Buch von bestimmter Bogenzahl zu diesem Titel zu verfertigen. Der Titel war wirklich die Hauptsache, denn er allein verkaufte das Buch. Anscheinend harmlos wurden ein paar Dutzend Exem plare nach Oesterreich gesendet, natürlich sofort consiscirt und daS Verbot von der k. k. Büchcrpolizei höchst pflichteifrig durch das gcsammte Donaureich bekannt gemacht. Sobald es erlassen war, ging Kiste auf Kiste mit der verbotenen Waare nach Wien und verstreute sich von da durch das ganze Reich; um die Grenze zu passiren, wurde ein falscher Titel und Umschlag angeklebt, und die verfängliche Broschüre ging als Gebet- oder Kochbuch unbe hindert durch die Hände des Aufsichtspersonals; oder man spe- dirtc den Ballen Bücher über Wien nach Pcsth; wohl plombirt übernahm ihn der Wiener Freund zur Beförderung, versetzte aber die Plombe an einen Ballen harmloser Maculatur, welche dieDonau hinab schwamm, während das gefährliche Revolutions- gist glücklich in Wien der Lesewelt geimpft wurde. So jämmerlich diese „Bücherfabrik um des Titels willen" war, so nachtheilig sie nach allen Seiten hin gewirkt hat, so er scheint sie doch noch harmlos und unschuldig gegenüber dem heu tigen Gebaren. Wenn z. B. ein Buchhändler das Unglück hat, zugleich Buchdrucker zu sein und etwa wegen seiner theuren Preise mit andern Buchdruckern nicht zu concurriren vermag, so ver legt er im Dienste des Preßbengcls. Die Grundsätze des Ver lags sind dann: dickleibige Werke, damit viel zu drucken ist und ein hoher Preis angcsctzt werden kann; möglichst wenig Honorar, damit Drucker und Verleger ohne große Mühe Vortheil haben, und endlich entweder ein berühmter Name als Autor, oder ein pi kanter, womöglich mit der Zeitgeschichte in Beziehung stehender Titel. Und bei solchen Grundsätzen soll die Literatur geför dert werden?! — Ein Anderer besitzt vielleicht ein gewisses Ta lent für den Kleinhandel und Scharfblick für die jeweilige Nei gung der Käufer; er schafft sich daher keine Buchdruckerei an, wohl aber eine Anstalt fürHolzschneidekunst. Nun bedarf er nur noch irgend ein gutes oder schlechtes, populärgeschriebenes Buch; ist das Manuskript erworben, so beginnt seine Thätigkeit. Aus inländischen wie ausländischen Werken werden halbwegs passende Bilder gesucht, neue auch dazu gezeichnet und schließlich in Holz geschnitten, so daß wo möglich auf jede Seite ein Holzschnitt ge langt, möge er nun zum Texte passen oder nicht. Das Bilder buch ist fertig und eine Zeit lang geht die Spekulation trefflich. Der ehrliche Käufer greift nach dem mit Bildwerken aller Art ausgestatteten Buche in der schönen Hoffnung, daß der Text auch halten müsse, was die Bilder versprechen. Die Freude über die glückliche Akquisition währt indeß nicht lange, denn kaum hat er zu lesen begonnen, so findet er sich bitter enttäuscht. In seinem Zorn wendet er sich aber nicht gegen den Verleger, sondern gegen den Autor, da ihm die Art der Herstellung unbekannt ist. Wir aber fragen: wird auf solche Weise dieLiteratur gefördert?
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